Text: Marcel Zaugg

Nebst den schwereren 4M, 6M und 8M waren auch kleinere, kompaktere, schnellere und wendigere Geländefahrzeuge gefragt. Diese sollten eine kleinere Haubitze ziehen und gleichzeitig die dazugehörige Truppe transportieren können. Diese Projekte erhielten die Bezeichnungen 4ML, 6ML und 8ML - M für „Militär“ und L für „Leicht“. Nebst einer leichteren Bauart fällt auf den ersten Blick der tief gehaltene Schwerpunkt der ML-Konstruktionen auf. Damit dürften zwei wesentliche Nachteile der grossen Brüder 4M, 6M und 8M ausgemerzt worden sein, namentlich das relative grosse Leergewicht sowie der hohe Schwerpunkt. Damit verbesserte sich die Stabilität im Gelände wesentlich,insbesondere die Kippgefahr. Bei der Geländegängigkeit wurden aber keine Abstriche gemacht: Allradantrieb und hochgesetzte Schwingachsen mit den von den M-Typen bekannten Einzelradaufhängungen sorgten für grosse Bodenfreiheit und gleichmässige Gewichtsverteilung im Gelände.

Der Saurer 6ML

Die ersten Zeichnungen zu Schlüsselkomponenten des 6ML wurden bereits 1939 zu Papier gebracht, die Typenskizzen sind mit 1941 datiert. Die Chassiskonstruktion wich vom Muster der bereits ausgeführten M-Typen deutlich ab.

Saurer 6ML in der ersten Ausführung mit angetriebener Kletterachse vorne. Der Einstiegfür die Mannschaft erfolgte seitlich, hinter dem Motor, der Zugang zur Ladebrücke war von hinten. Aufnahme Saurer Arbon, Sammlung M. Zaugg, Mirchel)

Obschon der 6ML auch über einen Zentralrohrrahmen verfügte, war dieser leichter und schlanker gebaut und hatte eine ganz neue Anordnung der verbauten Komponenten.Die Einzelradaufhängungen mit Schwingachsen, Umlenk- und Reaktionshebeln wurden als Prinzip von den früheren M-Typen übernommen. Im Falle der beiden Hinterachsen wurden die ganzen Hebelmechanismen zwischen den Achsen und mit nur noch einer Schraubenfeder pro Seite, ohne Zugstangen und ohne Ausgleichsmechanismus zwischen linker und rechter Seite ausgeführt. Diese Ausführung war gegenüber den 6M und 8M wesentlich leichter. Die erste Ausführung des Prototypen war mit einer angetriebenen Kletterachse vorne ausgerüstet. Der Antrieb der Achse konnte auch bei diesem Prototypen über eine Klauenkupplung ein- und ausgeschaltet werden. Diese Kletterachse war nicht starr am Chassisrahmen verbaut,sondern war mittels Hebeln und Federn mit der Vorderachse so gekoppelt, dass beide ungefähr dieselben Einfederungen machten. Damit sollte verhindert werden, dass beim Auffahren auf ein Hindernis die gelenkte Vorderachse halbseitig in der Luft hing, und möglichst schnell auf beiden Rädern Traktion erhielt. Die schwingenden Halbachsen waren schlanker und leichter ausgelegt als bei den M-Typen. Das Achsrohr war zweiteilig: Im Fall der Vorderachsen bildete das äussere Rohr die Achsschenkelgabeln. Für die Bereifung wurden eher filigran anmutende 8.25x18“-Reifen auf K-Felgen gewählt.



Typenskizze des 6ML Gut sichtbar ist die quer zu Fahrrichtung und seitliche Anordnung eines 4-Zylinder-Motors. (Aufnahme Saurer Arbon, Sammlung M. Zaugg, Mirchel)


Auf der Teststrecke wurde das Spiel der Achsen besonders gut ersichtlich: Während die Hinterachsen gegeneinander einfederten, bewegten sich die Vorderachsen ungefähr parallel. (Aufnahme Saurer Arbon, Sammlung M. Zaugg, Mirchel)


Hinterachsschwinge, Anordnung der Radbremse und der Antriebsritzel. (Aufnahme Saurer Arbon, Sammlung M. Zaugg, Mirchel)

Ein wichtiges Kriterium beim 6ML waren der tiefe Schwerpunkt und die überragende Geländegängigkeit. Auch der Motor musste deshalb möglichst tief verbaut werden. Zu diesem Zweck wurde er hinter der Vorderachse, zu linken Seite versetzt und quer zur Fahrtrichtung angeordnet. In den ersten Zeichnungen ist ein stehender 4-Zylinder-Benzinmotor zuerkennen; Marke und Typ sind unbekannt, doch dürfte es sich nicht um einen Saurer-Motor gehandelt haben. Die seitlich versetzte Lage neben dem Zentralrohrrahmen verlangte vermutlich nach einem möglichst kurzen Motor. Spätere Fotos des Chassis zeigen einen seitengesteuerten Ford FlatheadV8-Benzinmotor. Dieser zur damaligen Zeit bekannte „Allerweltsmotor“ leistete 85-90 PS und war bei gleicher Baulänge wohl leistungsfähiger als ein 4-Zylinder. Die spezielle Einbaulage war ein charakteristisches Merkmal des 6ML. Immerhin war damit ein erstes Geländefahrzeug mit Mittelmotor entstanden.



Zentralrohrrahmen, Hebelmechanismus und Schraubenfedernder Hinterräder [oben].
Aufhängung für Vorderräder und Kletterachse [mitte].
Hinterachsschwinge mit Achshebel [unten].
(Aufnahme: Saurer/Sammlung M. Zaugg, Mirchel)

Um die Kraft auf das Verteilergetriebe und die Antriebsachsen zu bringen, wurde ein Winkelgetriebe eingebaut. Das Winkel- und Schaltgetriebe bildeten zusammen eine Einheit. Sehr interessant war die Lösung mit den Gangrädern in Fahrtrichtung vorne und dem Abtrieb zum Verteilergetriebe in Fahrtrichtung hinten. Der Antrieb des Lüfterflügels erfolgte direkt von der Kupplungswelle aus durch das Winkelgetriebe hindurch zum Wasserkühler seitlich rechts am Chassis. Der Antrieb des Lüfterflügels erfolgte über einen Riementrieb.


6ML-Chassis: Motor links, Kühler und Benzintank rechts am Zentralrohrrahmen. Die Auspuffrohre wurden unter dem Wasserkühler geführt. (Aufnahme Saurer Arbon, Sammlung M. Zaugg, Mirchel)


Quergestellter V8-Benziner, Winkel- und Schaltgetriebe, Lüftermechanismus. (Aufnahme Saurer Arbon, Sammlung M. Zaugg, Mirchel)


Die Karosserieform wurde so gewählt, dass beim 6ML die Besatzung, das Material und das dazugehörende Geschütz mitgeführt werden konnten. Auch die Sitze waren möglichst tief zwischen die Vorderräder bzw. zwischen die Achsen gesetzt. Bei der Ansicht des Chassis und des Winkeltriebs wird deutlich, dass alles sehr kompakt zusammen gebaut war. Alle, die schon am einen oder anderen M-Typen mechanische Reparaturen ausführten, können die Komplexität des Antriebs und der Einzelachsaufhängungen erahnen. Da der Motor in der Mitte des Fahrzeuges eingebaut war und der Wasserkühler nicht dem Fahrtwind ausgesetzt war, musste geachtet werden, dass sich kein Wärmestau bildete und der Motor nicht überhitzte. Leider blieb es beim 6ML bei einem Prototypen; er wurde nie in Serie hergestellt. Das hier dargestellte Fahrzeug blieb deshalb einzigartig. Die Erprobung bei der Armee erfolgte unter der Nummer M+7101. Dem Prototypen wurde später die Kletterachse ausgebaut und die Karosserie leicht angepasst. (Aufnahme Saurer Arbon, Sammlung M. Zaugg, Mirchel)


Unzählige Test- und Geländefahrten zeigten, dass der 6ML seine Aufgaben gut meisterte. Dank tiefem Schwerpunkt war die Kippgefahr bedeutend geringer als bei 4M, 6M und 8M. (Aufnahme Saurer/Sammlung M. Zaugg, Mirchel)

Der Saurer 8ML

Der 8ML wäre eine längere Version des 6ML geworden. Mit dem Einbau einer zweiten Vorderachse wäre eine Antriebseinheit mehr gewesen, die sich im Gelände angepasst hätte. Die abgebildete Zeichnung stammt aus dem Jahre 1941. Es blieb bei einer Zeichnung. (Aufnahme Saurer Arbon, Sammlung M. Zaugg, Mirchel)

Der Saurer 4ML

Der Saurer 4ML war ein weiterer Prototyp und sah dem späteren Serienfahrzeug 4MH bereits sehr ähnlich. Der 4ML hatte den Motor im Gegensatz zu seinen Vorgängern längs im Heck eingebaut. Damit wurde die Kopflastigkeit zugunsten einer ausgeglichen Achslastverteilung wesentlich verbessert. Auch bei dieser Entwicklung legten die Ingenieure grossen Wert darauf,Technik und Komponenten aus den bisherigen M-Typen anzuwenden. Der 4ML baute ebenfalls auf einem Zentralrohrrahmen auf. Als Achsen wurden vermutlich solche analog dem 6ML verwendet. Die Einzelradaufhängung garantierte auch beim 4ML eine überragende Geländegängigkeit. Die Differentiale und das Prinzip der Halbachsen stammten von den M-Typen. Eine Kletterachse wie beim 2M oder 4M wurde bei diesem Typ nicht vorgesehen. Stattdessen zierte eine massive Panzerplatte die Front. Der 4ML war auf gröberen 9.00-20“ Geländereifen und Trilex-Felgen unterwegs. Als Triebwerk diente nun ein 4-Zylinder-Saurer-Dieselmotor Typ CR1DM. Der Motor wurde platzsparend, und um den Schwerpunkt tief zu halten, leicht nach rechts geneigt verbaut. Ein Fünfganggetriebe mit einer Untersetzung sollte immer das richtige Drehmoment zur Verfügung stellen.

 


Motor CR1DM:

Zylinder: 4
Bohrung: 110mm
Hub: 140mm
Hubraum: 5.320 Liter
Drehzahl: 1800 U/Min
Leistung: 62 PS
Treibstoff: Diesel
Gewicht: 460kg

 


Der Prototyp des Saurer 4ML als M+7102. (Aufnahme Saurer Arbon, Sammlung M. Zaugg, Mirchel)

Die Karosserieform wurde so gewählt, dass acht Soldaten samt Gepäck transportiert werden konnten, Fahrer und Beifahrer fanden dank fehlendem Motortunnel zwischen den Vorderrädern Platz, seitlich links und rechts waren je drei Einzelsitze zwischen den Achsen angeordnet. Die Staufächer waren unter den Sitzen,seitlich zugängig. Sämtliche Sitze sowie die Ladefläche in der Mitte des Fahrzeugs wurden möglichst tiefgehalten, so dass der Schwerpunkt nicht unnötig erhöht wurde. Das Verdeck konnte hinter den beiden Frontsitzen zusammengerollt werden.

Zeichnungen von möglichen Karosserien und Anwendungen des 4ML. (Aufnahme Saurer Arbon, Sammlung M. Zaugg, Mirchel)

Der fertig gestellte Prototyp wurde anfangs Juli 1944 der KTA (Kriegstechnische Abteilung) als M+7102 für Testfahrten übergeben. Am 10. Juli 1944 wurde die erste Teststrecke absolviert.Sie führte von Arbon über Olten nach Thun. Der 4ML wurde auf sein maximales Gewicht beladen, dazu zog er einen Anhänger mit einem Gesamtgewicht von einer Tonne mit. Am Folgetag wurde die Tauglichkeit anhand verschiedener Pässefahrten überprüft. An seiner Seite fuhr ein 8M mit. Die Testfahrt führte von Thun über die Grimsel, über die Furka und zum krönenden Abschluss über den Gotthard nach Andermatt. Die 195 Kilometer fuhren beide Testfahrzeuge am Limit. Da der 4ML das schnellere Fahrzeug war, wurden in der Umgebung von Andermatt und Altdorf weitere Testfahrten mit dem 4ML absolviert. Am dritten Tag wurde in Andermatt gestartet. Die Strecke führte über die Klausen-Passhöhe, zurück nach Brunnen und weiter nach Luzern mit dem Endziel Thun. In den drei Tagen haben die Fahrzeuge stolze 681km zurückgelegt. Der 4ML-Prototyp überzeugte die KTA. Zur Serienreifmachung wurden Modifikationen ausgeführt, welche aus der Erprobung hervor gingen oder welche die KTA wünschte. Die ganze Antriebseinheit wurde bis auf die Halbachsen übernommen. Der Unterschied zu der auf Seite 3 abgebildeten Achse war eine andere Führung der Bremsflüssigkeit zum Radbremszylinder. Der Schutzdeckel beider Serienhalbachse entfiel, da die Leitungen für die Bremsflüssigkeit auf der Innenseite der Halbachse geführt wurden.


Diese Fahrzeuggeschützstudie mit der Bezeichnung 4MF 32, datiert mit 2.1.1941, wies bereits zahlreiche Merkmale des späteren 4ML bzw. 4MH auf, namentlich den zur Seite geneigten Heckmotor oder den Fahrerplatz zwischen den Vorderrädern. Die Einzelradaufhängungen waren jedoch mit Trapezlenkern ausgeführt; damit konnte das Geschütz abgesenkt und fürs Gefecht stabilisiert werden. (Aufnahme Saurer Arbon, Sammlung M. Zaugg, Mirchel)

 

Druckbare Version: Sonderdruck aus Federblatt 69:

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Ausfahrt 2011

Ausfahrt 2011-1